IT-Executive Club |  Interview mit Staatssekretär Dr. Markus Richter und Christian Pfromm


Autor: Björn Pahlke

 

Im europäischen digitalen Vergleich hinkt Deutschland vielen Ländern hinterher. Im Digital Quality Life Index 2020 belegt die Bundesrepublik gerade einmal Platz 16. Es herrscht Nachholbedarf. Doch es gibt Bereiche, in denen Deutschland sogar eine Vorreiterrolle einnimmt. Einer davon ist die digitale Verwaltung. Damit die Bürger die Fortschritte spüren, braucht es aber sowohl die Unterstützung der Bundesländer als auch die der Wirtschaft.

Seit etwas mehr als einem Jahr ist Dr. Markus Richter Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) und Beauftragter der Bundesregierung für Informationstechnik (kurz: „Bundes-CIO“). Am 15. Juni sprach er im Rahmen des IT-Executive Clubabends über Deutschlands Digitalisierungsstrategie, den Weg zur digitalen Verwaltung und bisherige Erfolge seiner Amtszeit sowie weitere vereinbarte Ziele.

Der IT-Executive Club sprach im Nachgang mit ihm und Christian Pfromm über die Fortschritte in der digitalen Verwaltung. Christian Pfromm ist Chief Digital Officer (CDO) der Freien Hansestadt Hamburg und betreut somit auch federführend die Themen im IT-Planungsrat, in dem Hamburg über den Chef der Senatskanzlei, Staatsrat Jan Pörksen, vertreten ist. Außerdem sitzt er im Vorstand des IT-Executive Clubs.

 


Herr Dr. Richter, die Pandemie zeigte digitale Rückstände in Deutschland auf. Was muss sich verändern, damit Deutschland aufholt?


Staatssekretär Dr. Markus Richter: Es ist kein Geheimnis, dass in vielen Bereichen Nachholbedarf besteht. Die Pandemie führte uns das besonders vor Augen. Was viele übersehen: Wir konnten in dieser Zeit auch viel bewegen. Deutlich wurde dabei, dass wir unsere Ziele nur gemeinsam erreichen können. Dazu gehört sowohl der Schulterschluss zur Wirtschaft wie auch die Zusammenarbeit mit und zwischen den einzelnen Bundesländern. Doch die Herausforderungen sind enorm.


Welche Herausforderungen meinen Sie genau?


Richter: Auch wenn es vielleicht anders klingt, als Bundes-CIO habe ich nicht die gesamte IT Deutschlands in der eigenen Hand. Ich bin aber sehr wohl verantwortlich dafür, das umzusetzen, was Politiker:innen versprechen. Wer allerdings etwas verändern will, stößt zunächst auf viele Abstimmungsgremien und eine große Masse an hochkomplexen Systemlandschaften, die erst harmonisiert und weiterentwickelt werden müssen. Es geht darum, viele Dinge zu vereinheitlichen. Da ist es gerade in der föderalen Struktur in Deutschland nicht einfach, etwas zu bewegen. Erst recht nicht, wenn es schnell gehen muss.


Das ist ihr Stichwort, Herr Pfromm. Das klingt ja fast so als wäre der Föderalismus schädlich?


Christian Pfromm: Ich sehe es so: Der Föderalismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung. Herr Richter hat zwar Recht, dass komplexe Systeme, und dazu kann man unseren Föderalismus wohl zählen, schwer umzusteuern sind. Wir haben aber auch einen Riesenvorteil gegenüber einer zentralistischen Verwaltungsstruktur, in der von oben alles bis ins Kleinste geregelt wird: Diejenigen, die Dinge umsetzen, wissen um die realen Probleme. Wenn wir Länder und Kommunen Verwaltungsleistungen digitalisieren, heißt das nicht, dass wir stur ein Gesetz umsetzen. Nein, wir kennen seit Jahren und Jahrzehnten die praktischen Herausforderungen in der Anwendung. Wir wissen, welche Verfahren funktionieren und welche die Bürgerinnen und Bürger überfordern. Wir wissen um die regionalen Besonderheiten, die landesrechtlichen Bestimmungen, die mitwirken. Wir kennen die regionale Wirtschaft und können abgewogene Entscheidungen im Sinne aller treffen. Sie sehen: Die Nähe zu den Menschen macht eine digitale Verwaltung erst wirklich funktional. Diesen Weg müssen wir gemeinsam gehen. Auch wenn er manchmal länger ist, erreichen wir am Ende das bessere Ergebnis.


Und was ist dabei besonders wichtig?


Pfromm: Besonders wichtig, um das Vorgehen der Bundesländer für eine durchgehend digitale Verwaltung zu harmonisieren, ist ein gemeinsames Ziel, auf das alle hinarbeiten. Aktuell haben wir mit dem OZG einen wichtigen Meilenstein vor uns. Dabei bündeln wir unsere Kräfte länderübergreifend – und zwar nach dem „Einer für alle“-Prinzip. Die Online-Dienste werden in jeweils einem Bundesland entwickelt und für alle anderen bereitgestellt. Das EfA-Prinzip ist dabei also nicht bloß eine Umsetzungsmodalität. Es entwickelt auch die föderale Idee weiter. Aber auch für die Zeit danach brauchen wir ein Ziel, das uns alle motiviert und das wir als Bund, Länder und Kommunen gemeinsam erreichen wollen. Wir brauchen Projekte, deren positive Auswirkungen die Menschen in Deutschland spüren! Denn das muss es sein, was wir erreichen wollen: Mehrwert für die Bürgerinnen und Bürger im Land.

Richter: Genau aus diesem Grund entwickelte ich zusammen mit meinem Team im BMI den 9-Punkte-Plan. Der Fokus des Plans liegt auf digitaler Gesellschaft, digitaler Verwaltung und Sicherheit im Cyberinformationsraum mit den entsprechenden Behörden. Es geht darum, in kurzer Zeit möglichst viel zu bewegen. Eine Prämisse ist tatsächlich, dass Lösungen entstehen sollen, die das Leben der Menschen vereinfachen und verbessern. Außerdem sollen die Projekte in dem Plan nicht länger als 12 Monate laufen, damit Erfolge schnell sichtbar und spürbar werden. Schließlich verfolgen wir das Ziel, ein positives Klima für die Digitalisierung zu erzeugen.

Pfromm: Der 9-Punkte-Plan ist außerdem ein Beispiel für zwei weitere wichtige Aspekte der Steuerung im föderalen Kontext:  Zum einen gibt er einen Rahmen von gemeinsamen Prämissen, ohne die regionale Lösungskompetenz der Bundesländer zu weit einzuschränken. Und zum anderen, und das ist ebenfalls ganz entscheidend: Auf Grundlage dieses Plans können auch Erfolge gemessen werden. Denn ohne Erfolgskontrolle können wir nicht wirksam steuern.


Gibt es denn schon erste Erfolge zu vermelden?


Richter: Da wäre zum Beispiel die elektronische Identität - eines der wichtigsten Digitalisierungsprojekte der Bundesregierung. Die wenigsten wissen, dass Deutschland in diesem Punkt sogar die Rolle des Frontrunners einnimmt. Sich mit einer E-Identität auszuweisen, ist in Deutschland sehr einfach und unkompliziert. Das liegt daran, dass jeder neue Personalausweis bereits eine E-Identität enthält. Im Online-Bereich soll der Personalausweis in Zukunft sogar komplett wegfallen. Damit das gelingt, gilt als oberste Priorität, ein Ökosystem der Identitäten zu schaffen.


Ein Ökosystem? Das klingt erstmal so als könnte das auch die föderalistischen Strukturen vereinheitlichen.


Pfromm: Nicht nur das. Der Föderalismus ist in diesem Fall sogar hilfreich. Einzelne Länder können neue Lösungen testen, die ganz Deutschland weiterhelfen können. Das Problem ist eher, dass es selten Anwendungsfälle gibt, die eine komplette Umstellung rechtfertigen. Auf dieser Grundlage fußt der GovTech-Campus. Ziel dabei: Die Gründer-Szene mit der öffentlichen Verwaltung zu verbinden. An dem Projekt war Hamburg in enger Zusammenarbeit mit dem BMI, anderen Bundesländern und vielen Start-Ups maßgeblich beteiligt. Der GovTech Campus soll den Transfer von GovTech-Lösungen in die Verwaltung erleichtern und Forschung, Bildung, Wirtschaft, Verwaltung und Politik vereinen.


Das gleiche kann doch auch auf europäischer Ebene funktionieren, oder?


Richter: Das kann nicht nur, das soll auch funktionieren. Auch die EU hat eine europäische Lösung im Blick, bei der sich alle europäischen Staaten angeschlossen haben. In puncto digitale Verwaltung dient Deutschland sogar als Vorbild. Selbst die großen US-Unternehmen sind technisch nicht viel weiter als wir. Das zeigt: Wir sind auf einem guten Weg. Doch auch hier ist abermals zu betonen, einen gemeinsamen europäischen Weg zu gehen und gleichzeitig digitale Souveränität beizubehalten. Aus diesem Grund verabschiedeten wir vor kurzem erst eine Berlin Declaration, die alle Maßnahmen der digitalen Souveränität zusammenfasst.


Der Weg funktioniert also nur gemeinsam und dennoch müssen die Maßnahmen sitzen. Was erwartet uns denn nun konkret in den nächsten Jahren?


Richter: Entscheidend ist, dass die Maßnahmen positiv Einfluss auf die Geschwindigkeit nehmen. Dazu brauchen wir zum einen die Zusammenarbeit der einzelnen Bundesländer, aber ebenso den Schulterschluss mit der Wirtschaft. Hier spielen Organisationen wie der IT-Executive Club selbstverständlich eine entscheidende Rolle. Es ist nicht einfach für über 11.000 Kommunen einheitliche Lösungen zu schaffen.


Über eine zentrale Figur in dem Prozess haben wir noch gar nicht gesprochen. Wie sieht denn die Rolle der Nutzer:innen aus?


Pfromm: Gelungene Digitalisierung funktioniert nur mit nutzerzentrierten Lösungen, die den Menschen helfen, das Leben leichter machen. Daher spielt die Einbindung von Nutzerinnen und Nutzern eine zentrale Rolle bei der Entwicklung digitaler Verwaltungsleistungen. Und vergessen wir nicht: Auch die Verwaltung selbst ist ein Nutzer. Wir wollen schließlich nicht nur die Prozesse nach außen digitalisieren, sondern auch unsere internen Abläufe neu aufstellen, sie effizienter, schneller, zuverlässiger, transparenter machen. Das funktioniert nur, wenn wir kundenorientiert denken und alte Gewohnheiten hinterfragen.

Richter: Und dabei ist es essenziell, Datenschutz als User-zentrisches Element par excellence anzugehen, um mehr Menschen für Digitalisierung zu sensibilisieren. Dazu gehört auch, eine Fehlerkultur zu etablieren. Sollte mal etwas in unserem 9-Punkte-Plan nicht funktionieren, müssen wir das nach außen kommunizieren. Diese Transparenz werden Menschen positiv anerkennen. Negative Stimmen gibt es immer. Entscheidend ist vielmehr, dass die Nutzer:innen von den Lösungen überzeugt sind. Sonst gelten die Bemühungen schnell als gescheitert.

Pfromm: Absolut. Alle wird man nie überzeugen können, aber zumindest einen Großteil müssen wir erreichen. Mit unseren starken Datenschutzvorschriften und gerade auch den modernisierten Registern, die wir aktuell aufbauen, haben wir dafür eine hervorragende Grundlage. Das Once-Only-Prinzip bildet einen echten Meilenstein: Nutzerinnen und Nutzer müssen ihre persönlichen Daten gegenüber dem Staat nur einmal angeben und anschließend laufen, mit deren Einverständnis, die Daten von Behörde zu Behörde, nicht mehr die Menschen. Damit bringen wir Datenschutz und einfache Nutzbarkeit zusammen, anstatt sie im Widerspruch zu sehen. Auf dieser Basis können wir einheitliche Lösungen, Ideen und Innovationen aufbauen, die das Leben einfacher machen.

Richter: Diese Ideen müssen zwar auf bundesweiter Ebene entwickelt werden, aber wir sind ebenso auf Ideen der Landesebene angewiesen. So hat zum Beispiel Mecklenburg-Vorpommern eine Lösung für Bauanträge geschaffen. Dieser lief früher noch über unzählige Dokumente. Heute gelingt alles digital. Die Wege müssen sowohl für Nutzer:innen als auch für die Behörden kürzer werden.


Und welche Rolle spielt Hamburg?


Richter: Eine sehr große, denn Hamburg wirkt beim Thema Digitalisierung stets unterstützend. Die Hansestadt und die Metropolregion beweisen, dass die Zusammenarbeit funktionieren kann. Das ist vor allem in dem Sinne wichtig, dass Länder schnell in eine Abwehrhaltung gehen, wenn der Bundes-CIO Leitsätze wie „Digitalisierung First, Bedenken Second“ formuliert. Wenn das Entscheider:innen auf Länderebene wie Christian Pfromm verlauten lassen, sieht die Unterstützung schnell ganz anders aus.

Pfromm: Vielen Dank für das Kompliment. Ich bin überzeugt, dass wir uns da bestens ergänzen und unsere Botschaften gemeinsam in die Breite tragen.


Vielen Dank für das ausführliche Gespräch.