20.10.2018
Die technische Plattform für ein digitales Finanz-Geschäftsmodell – neu, aber eigentlich doch kein Start-up mehr – stand im Mittelpunkt des ITEC-Clubabends, der wieder ausgesprochen gut besucht war. Den Anfang des Programms bildeten jedoch traditionell zwei Club-Mitglieder, die im Interview verrieten, worum sich ihr berufliches und privates Leben dreht.
Interview mit Dr. Horst Karaschewski:
Dr. Horst Karaschewski leitet seit 2006 den Bereich IT-Anwendungsentwicklung bei der Hanse Merkur Versicherungsgruppe. 2008 setzte mit der Einführung einer Service-orientierten Architektur (SOA) und von agilen Arbeitsweisen eine Innovationswelle in der IT der Versicherung ein, die 2014 die Ablösung der Großrechnertechnik und künftig die Orientierung am Cloud Computing mit sich brachte. Im selben Jahr wurde dann auch das – wie alles Agile – organisatorisch ausgesprochen herausfordernde Thema „Continuous Integration/Continuous Delivery“ (CI/CDE) auf die Agenda gesetzt. Sein mutiges Fazit nach zehn Jahren Agilität: IT-Mitarbeiter sind von ihrer Denkweise her eher dazu befähigt als die Kräfte aus den Fachbereichen. Ebenfalls bemerkenswert: Um das Potential agiler Arbeit ausschöpfen zu können, ohne die an traditionelles, hierarchisches Arbeiten gewöhnten Kräfte zu überfordern, wurde 2013 das Spin-off Red6 Enterprise Software GmbH gegründet, das als agile Enklave im Konzern innovative Versicherungslösungen entwickelt.
Interview mit Tim Angerer:
Tim Angerer leitet seit Anfang 2017 das Amt für Medien der Hansestadt Hamburg. Auf die Frage, welche Relevanz das für die IT hat, verwies er als erstes darauf, dass das Amt nicht nur für die Medienbranche, sondern auch für die IT-Wirtschaft verantwortlich sei und digitale Innovation generell steuere. Er machte folgende Rechnung auf: Was im Verlagswesen durch Anzeigenkrise und Digitalisierung an Jobs verloren geht – zwischen 2009 und heute gingen die Beschäftigtenzahlen in den in Hamburg ansässigen Medienhäusern von knapp 12.000 auf 8.000 zurück –, wird in der digitalen Wirtschaft mehrfach aufgefangen: In den IT- und TK-Positionen aller Branchen in Hamburg arbeiten heute 13.000 Menschen mehr in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen als im Jahr 2009; unter dem Strich ein Plus von 9.000 Jobs.
Angerer sieht Hamburg auf einem guten Weg: „Unter dem Strich wächst die Stadt, was den Bereich Digitales und Medien angeht.“ Als Erfolgsbeispiele nannte er die in der Stadt ansässigen Unternehmen Xing, Mytaxi, Facebook, Google, Snap und Twitter. Und mit dem Brexit könnten Firmen von der Insel dazukommen, die sich in einem traditionell gut zu britischer Prägung passenden Umfeld (mit englischsprachigen Schulen, guten Flugverbindungen nach London und sogar Golf- und Poloplätzen) ansiedeln wollten. Das vom neuen Ersten Bürgermeister Peter Tschentscher ausgegebene Ziel, Hamburg bis 2025 flächendeckend mit Glasfaser-Hausanschlüssen zu versorgen, nannte Angerer als weiteren Standortvorteil.
Vortrag von Alexander Graubner-Müller, Kreditech
Alexander Graubner-Müller war CTO und dann CEO des 2012 von ihm gegründeten Fintech-Unternehmens Kreditech mit Hauptsitz in Hamburg; im Mai 2018 hat er sich aus dem Tagesgeschäft zurückgezogen und ist nun als Investor und Business Angel aktiv. In seinem Vortrag blickte er auf die Historie von Kreditech zurück und präsentierte „Lessons learned bei der Skalierung von Plattform und Organisation“.
Kreditech hat ein Verfahren entwickelt, bis zu 20.000 individuelle Punkte aus unterschiedlichsten Datenquellen zu nutzen, um bei der Bewertung der Solvenz von Kreditnehmern herkömmliche Auskunfteien ersetzen zu können. Ursprünglich war geplant gewesen, diese Leistung anderen Geldhäusern auf dem Software-as-a-Service-Wege in der Cloud anzubieten. Dieses B2B-Geschäftsmodell würde jedoch sehr bald in ein B2C-Modell mit eigenem Kundenkontakt und eigener Kreditvergabe umgesetzt. Kreditech verfügt freilich nicht über eine Banklizenz, so dass in Deutschland kein Geschäft gemacht wird. Das Unternehmen bietet seine Leistungen heute in Polen, Spanien, Russland, Indien und Mexiko an; es beschäftigt 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, davon 200 in Hamburg, die anderen an Entwicklungsstandorten Warschau und Charkiw/Ukraine.
Architektur, Business und Organisation entwickelten sich, so Graubner-Müller, in den ersten Geschäftsjähren in einen nur schwer zu steuernden Status: Das Business war nach Ländern aufgestellt, die Produkt-Teams jedoch nach Produkten organisiert, die für mehrere Länder entwickelt wurden. Und die Architektur war von einer über alle Komponenten verteilten Business-Logik gekennzeichnet. Das führte zu einem sehr hohen Abstimmungsbedarf zwischen Produktmanagern, Technical Leads und Business-Verantwortlichen – mit entsprechender Verlangsamung der Prozesse. Die Lösung, vor der man wegen des zu erwartenden Aufwands zurückschreckte, sie dann aber doch in Angriff nahmen: Die technologische Plattform wurde ab 2017 in einer Microservices-Architektur neu entwickelt, wie auch das gesamte Organisationsmodell. Nicht-wertschaffende Komponenten der Software wurden nicht mehr selbst entwickelt, sondern am Markt eingekauft, wenn es geeignete Lösungen gab. Kernfunktionen wie das der Kreditbewertung zugrundeliegende Risikomodell gab man freilich nicht aus der Hand; hier setzt man nun auf eine einfach skalierbare Container-Lösung.
Graubner-Müllers Fazit: „Software in Produktionsumgebungen sollte man alle fünf Jahre komplett erneuern.“ Um das allerdings zu schaffen, sei es sinnvoll, das Software-Team aufzuspalten in einen Teil für den laufenden Betrieb der noch aktiven Lösung und einen Teil allein für die Neuentwicklung.